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Nel mezzo del cammin di nostra vita. Oder: Ist das ein Tal?

 

Wie kann es sein, dass wir uns auf dem Höhepunkt des Lebens fragen, was eigentlich los ist? Warum das, was wir machen und haben, uns nicht mehr ausreicht. Warum, obwohl wir doch jeden Tag vollen Einsatz zeigen und uns selbst herausfordern, das Leben uns irgendwie nicht mehr erfüllt?

 

Aber warum sollten wir jetzt aufgeben? Das macht doch keinen Sinn. So kurz vor dem Ziel. Jetzt, da wir fast erreicht haben, was wir wollten. Warum nur fühlt es sich eher wie ein Ende und nicht wie eine Ankunft an?

 

Warum entschwindet unser Ziel, je näher wie ihm kommen? Wie das Wasser der Fata Morgana, das mit jedem Schritt tückisch vor uns zurückweicht. War der Weg der falsche? Oder ist es nur ein Tal, das wir durchschreiten müssen?

 

Es gibt den wunderbaren Begriff der ‚sunk costs‘ (oder auch: versenkter Einsatz).

 

Anwendbar in der Wirtschaft, der Psychologie, dem Leben und der Kombination sowieso. Im Kern geht es um die Irrationalität des menschlichen Verhaltens. Wir haben in eine Sache schon viel Geld, Arbeit, Gedanken oder Hoffnungen investiert - und das droht sich nicht auszuzahlen. Es stellt sich die Frage: Wie jetzt damit umgehen? Weiterinvestieren oder Aussteigen? Aktien halten oder abstoßen? Oft entscheiden wir uns fürs Durchhalten, dafür dem schlechten Geld auch noch das gute hinterherzuwerfen. Was verleitet uns zu solch einer Entscheidung?

 

Die Antwort ist einfach und ernüchternd: Weil wir einfach schon zu viel investiert haben, als dass wir noch mehr verlieren wollten. Zu viel hat uns das Leben, der Alltag und die Umstände schon gekostet. Und jetzt auch das noch den Rest aufgeben? Dann wäre ja wirklich alles umsonst gewesen. Also die Aktie lieber halten und hoffen, dass der Wert wieder steigt. Denn nach jedem Tal kommt doch auch wieder ein Berg.

 

Ohne Verlust

 

Wann ist der ist der richtige Zeitpunkt auszusteigen? Wann kommen wir ohne finanziellen Schaden oder Verlust des Gesichts davon?

 

Aber mal kurz innegehalten und nachgedacht: Sind das überhaupt die richtigen Fragen und Überlegungen? Würden wir nicht Gefangene unserer eigenen Vergangenheit werden? Geiseln unserer Entscheidungen, die wir vor 5, 10, 15 oder noch mehr Jahren trafen? Die wir aus gutem Grunde, aus bestem Wissen und Gewissen an dieser Weggabelung machten. Die aber jetzt nicht mehr den gleichen Sinn ergeben wie damals?

 

Wäre es nicht sinnvoller andere Fragen zu stellen: Was will ich hier und heute? Wie will ich meine nächsten Kalendertage, -jahre wirklich gestalten? Oder noch herausfordernder: Welchen Wunsch will ich mir selbst noch erfüllen? Möchte ich mir womöglich eine Neuorientierung genehmigen können und auch gönnen? Ja, sicher, irgendwann, an dem Tag, an dem ich alt und weise werde. Aber tückischerweise verschiebt sich diese Grenze immer weiter nach hinten. So, wie bei dem Phänomen der ‚sunk costs‘, die Reißleine, die wir ziehen wollten, wenn der Wert unter unseren Einsatz fällt, wird immer länger.

 

Und anstatt uns nach unserer möglichen Zukunft auszurichten, weinen wir dem eigenen Jammertal hinterher. Könnten wir nicht damit den Verlust vermeiden, indem wir uns von den Entscheidungen der Vergangenheit trennen und das Tal nicht hinter uns lassen?